07. Nov. 2023

»Die Geldgier kennt kein Glück, keine Freunde – die Liebesgier keine Furcht, keine Scham.«

Im »Papageienbuch«, das Boccaccio als Vorbild für sein »Dekameron« diente, erzählt ein Papagei vom Leben im Indien des ersten Jahrtausends. Der deutsch-indische Schriftsteller Krisha Kops nimmt uns mit auf die Reise zu einem Werk, das selbst einen langen Weg zurückgelegt hat.

In keinem der älteren indischen Werke spielt die Liebe eine so zentrale Rolle wie im »Papageienbuch«, einer Sammlung von 70 Geschichten und Fabeln. Darin haben nicht selten die Frauen die Oberhand über die Männer und die niederen Kasten über die Krieger und Könige … Krisha Kops spricht in seinem Vorwort und hier im Interview über die Eigenheiten der indischen Literatur und die besondere Geschichte eines Buches, dessen Original als zerstört gilt.

 

Welche Rolle spielt das Reisen für das »Papageienbuch«?

Einerseits spielt das Reisen thematisch eine wichtige Rolle. Immerhin entstammt das Buch einer Kultur, die von Bewegung geprägt war und noch immer ist. Der Zyklus beginnt damit, dass sich der Mann der Protagonisten Prabhawati auf eine Handelsreise begibt und so ein Setting schafft, in dem der Papagei Prabhawati die Geschichten erzählen kann. Es kommen auch andere Reisende vor: Personen, die auf Wallfahrt sind, ein Vater, der auf der Suche nach einem Gemahl für seine Tochter umherreist, eine Frau, die mit ihrem Liebhaber in ein anderes Land fliehen will.

Das Papageienbuch
Empfehlung

Am interessantesten ist jedoch, dass das »Papageienbuch« selbst reist. Und das nicht nur innerhalb Indiens, wo es vom Mündlichen ins Schriftliche, von einer Region in die nächste migriert und die einzelnen Geschichten in verschiedene Erzählbände wandern beziehungsweise gewandert sind. Das Papageienbuch reist auch jenseits der Grenzen des Subkontinents in verschiedene Kulturräume, etwa nach Persien, in die Türkei und bis nach Deutschland – und das lange bevor es diese schöne Fassung in der Anderen Bibliothek gab.

 

Von welcher Literatur sind Sie als Schriftsteller, der in einer deutsch-indischen Familie aufwuchs, geprägt – von der deutschen, der indischen und/oder ganz anderen Einflüssen?

Zunächst wurde ich von den deutschen, später den allgemein »westlicheren« Literaturen geprägt. Was der Lehrplan einem halt so aufzwang. Erst später – mit meiner Wiederannäherung als junger Mann an mein anderes Herkunftsland – entdeckte ich für mich die indischen Literaturen. Zunächst natürlich das, was auch immer auf Englisch erhältlich war. Allmählich kam hinzu, was einem die anderen Sprachen wie Sanskrit, Hindi und/oder Telugu bereithielten. Als ich dann erkannte, welch anderen, bereichernden Zugang man durch Literatur zu einer Kultur bekommen kann, las ich mich auch in Literaturen anderer Kulturräume ein. Am stärksten jedoch ist für mich heute der Einfluss der deutschen und indischen Literaturen. 

 

Was macht die indische Literatur aus, was unterscheidet sie womöglich von der anderer Länder?

Zunächst muss man sagen, dass es die indische Literatur genauso wenig gibt wie die deutsche. Mit all ihren Sprachen, regionalen Färbungen, verschiedenen Thematiken und interkulturellen Einflüssen kann sie (oder besser: können sie) höchst heterogen sein. Selbst die aus dem Einfluss der Kolonialzeit resultierenden, heute dominierenden indischen Literaturen in englischer Sprache sind nicht nur sehr unterschiedlich, sondern zeugen davon, wie grenzüberschreitend diese Literaturen sind. 

 

Wenn ich dennoch gewisse Tendenzen ausmachen müsste, dann vor allem folgende: Die indischen Literaturen sind oft, wie die Kultur selbst, voller Farbe und Lebensfreude. Es wird mit Sprache gespielt, Pathos (und Ironie) sind ihnen nicht fremd. Zudem wage ich zu behaupten, dass die allgegenwärtige Mythologie und Religiosität oft bis in die heutigen Literaturen wirken, selbst wenn das nicht immer offensichtlich sein mag. Magischen Realismus etwa gab es schon, lange bevor ein deutscher Kunstkritiker diesen Begriff erfand, der sich seinen Weg nach Südamerika und schließlich bis zu Salman Rushdie bahnte – etwa in den Epen Mahābhārata und Rāmāyaṇa. Da wären wir wieder bei der Bewegung und beim Reisen und nicht zuletzt beim »Papageienbuch«.

Krisha Kops, geboren 1986 in einer deutsch-indischen Familie, ist Schriftsteller und Philosoph. Er arbeitet als freiberuflicher Journalist in Indien und Deutschland. Seine Vorträge zu indischer Philosophie sind gekennzeichnet von einer interkulturellen Perspektive auf Politik, Kultur und Gesellschaft. Für seinen Debütroman »Das ewige Rauschen« (2022) erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. 

 

Für die Neuausgabe des »Papageienbuchs«, die im November 2023 in der Anderen Bibliothek erscheint, hat Krisha Kops ein Vorwort verfasst. Die Neuausgabe beruht auf der einzigen Sammlung, die alle bekannten Erzählungen nach der jeweils bestverbürgten Fassung enthält, herausgegeben und übersetzt wurde sie von Wolfgang Morgenroth.

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