06. Okt. 2023

»Über Loriot können die meisten Engländer und Franzosen nicht lachen.«

Prinz Asfa-Wossen Asserate im Gespräch über sein neues Buch in der Anderen Bibliothek: »Deutsch vom Scheitel bis zur Sohle«

Ein Spaziergang durch die Seelenlandschaft der Deutschen mit Bestseller-Autor Asfa-Wossen Asserate

Als Asfa-Wossen Asserate im Sommer 1968 zum Studieren aus Addis Abeba nach Tübingen kam, geriet er mitten hinein in die Studentenbewegung. Inzwischen besitzt der äthiopische Prinz die deutsche Staatsbürgerschaft, von seinen englischen Freunden wird er liebevoll »My favourite Kraut« genannt. Nach über fünfzig Jahren in Deutschland ist es an der Zeit für ein persönliches Fazit. Im vorliegenden Buch – der Autor nennt es ein Vademecum – geht er deutschen Eigenheiten, Marotten und Klischees auf den Grund und spart dabei seine eigenen Vorlieben nicht aus. Das Alphabet erlaubt es ihm, leichtfüßig von einem Thema zum nächsten zu springen: von der Autobahn zur Bratwurst, von der Freikörperkultur zum Gartenzwerg, von der Kehrwoche zur Kuckucksuhr, von der Waldeinsamkeit bis zum Zapfenstreich.

Das Buch erscheint zeitgleich als Originalausgabe und als Extradruck

Prinz Asfa-Wossen Asserate im Gespräch

Sie kamen 1968 ins schwäbische Tübingen zum Studieren, mitten hinein in die Studentenbewegung, und waren Corps-Student im Corps Suevia. Wie gestaltete sich der Empfang in Deutschland?

Asfa-Wossen Asserate: Es war ein sehr herzlicher Empfang, wenn auch hierzu einige Mythen kursieren. Meine Corps-Brüder übertreiben, wenn sie behaupten, ich sei mit vierzig Koffern angereist. Es waren tatsächlich zur zwei, davon ein Schrankkoffer. Noch am ersten Abend wurde in der studentischen Kneipe meine Trinkfestigkeit auf Herz und Nieren geprüft.

 

Deutschland war Ihnen damals nicht ganz fremd …

Das kann man wohl sagen. Ich bin in Addis Abeba von einem deutschen Kindermädchen erzogen worden, habe dort die Deutsche Schule besucht und das deutsche Abitur abgelegt. Und Tübingen kam meinen Vorstellungen von einer deutschen romantischen Stadt mit Fachwerkhäusern doch sehr nahe.

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Asfa-Wossen Asserate (4. v. l.) im Kreis seiner Geschwister und seiner Eltern in Asmara, 1967

In ihrem neuen Buch beschäftigen Sie sich mit deutschen Eigenheiten und Marotten. Die Deutschen gelten als zuverlässig, pünktlich, wenig spontan und nicht sehr humorvoll. Was ist dran an diesen Klischees?

Zuverlässig, das trifft es auf jeden Fall, aber die anderen Attribute? Deutsche Pünktlichkeit – das war einmal, hier haben sich die mores doch sehr französisiert. Und ich habe die Deutschen durchaus als spontan und humorvoll kennengelernt. Um den deutschen Humor zu verstehen, ist allerdings eine gewisse Vertrautheit mit der deutschen Kultur hilfreich. Über Loriot etwa können die meisten Engländer und Franzosen nicht lachen.

 

Sie haben in Deutschland Wurzeln geschlagen. Was fasziniert Sie besonders an Deutschland und den Deutschen?

Mein Verhältnis zu Deutschland – das ist, wenn man so sagen will, eine schicksalhafte Verbindung. Was ich vor allem bewundere, ist die besondere Ausprägung der Demokratie, für welche die Deutschen härter und länger gekämpft haben als die allermeisten europäischen Nationen. Dazu gehört der Föderalismus, der tief in der deutschen Geschichte verankert ist und dem Deutschland sein kulturelles Erbe verdankt. Noch der allerkleinste deutsche Fürst wollte einst sein eigenes Versailles, seine eigene Oper, sein eigenes Theater und seine eigene prächtige Bibliothek – und wie viel davon hat sich bis heute erhalten.  

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Der Pressechef der Düsseldorfer Messegesellschaft, 1980

Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Es ist vielfältiger und bunter geworden. Wer oder was typisch deutsch ist, lässt sich gar nicht mehr so ohne weiteres sagen. Manche machen sich Sorgen um die deutsche Identität. Können Sie solche Befürchtungen nachvollziehen?

Der ehemalige britische Premier Tony Blair antwortete einmal auf die Frage nach dem Nationalgericht der Engländer: Chicken Tikka Masala. Wir sind hierzulande weit davon entfernt, dass der deutsche Bundeskanzler Döner zum deutschen Nationalgericht erklärt – das kann ich allen, die sich sorgen, zur Beruhigung sagen.

  

Von vielen Zugewanderten heißt es, sie seien deutscher als die Deutschen. Eine Beobachtung, die Sie auch gemacht haben?

O ja. Denken Sie nur an das Jahr 2006, als in Deutschland die Fußballweltmeisterschaft ausgetragen wurde. Das Schwenken der Nationalflagge, Autokorsos durch die Stadt – das mussten die Deutschen mit türkischem, jugoslawischem oder italienischem Migrationshintergrund ihren deutschen Mitbürgern erst einmal vormachen, bis es allmählich selbstverständlich wurde.

 

»Deutsch vom Scheitel bis zur Sohle« ist auch eine Hommage an die deutsche Sprache. Was kann das Deutsche, was andere Sprachen nicht können?

Wie alle Sprachen verfügt auch das Deutsche über Wörter, die man nicht übersetzen kann, und wenn ich mich nicht täusche, sind sie im Deutschen besonders zahlreich. Dazu gehören »Heimat«, »Gemütlichkeit«, »Weltschmerz« oder das bezaubernde Wort »gediegen« – Begriffe, die mitten hinein führen in die Seelenlandschaft der Deutschen und die Zeit, in der sie geprägt wurde: die Zeit der Romantik und des Biedermeier.

 

Liebe geht bekanntlich durch den Magen. Essen und Trinken spielen eine nicht unbedeutende Rolle in Ihrem Buch. Ihr deutsches Lieblingsgericht?

Schwierig, sich hier auf eine Sache zu beschränken, ich liebe die regionale Küche. Wenn ich drei Gerichte nennen darf, von Süd nach Nord: Schwäbischer Rostbraten mit Spätzle; Grünkohl mit Pinkel; hausgemachte Königsberger Klopse.

 

Bei aller Liebe zu Deutschland: Sie haben stets Ihre Verbundenheit zu Ihrer Heimat Äthiopien betont und in mehreren Büchern für eine Annäherung zwischen Europa und Afrika geworben. Wie steht es heute um das Verhältnis der beiden Nachbarkontinente?

Wenn Sie mir diese Frage vor ein paar Jahren gestellt hätten, wäre meine Antwort optimistischer ausgefallen. Ich fürchte, wir sind dabei, zwischen Europa und Afrika die Nabelschnur zu durchschneiden. Wir müssen nur auf die zahlreichen Coup d’États in Mittelafrika blicken. Niger, wo sich das Militär vor einigen Monaten an die Macht geputscht hat, ist eines der ärmsten Länder der Welt – obwohl es über reiche Bodenschätze verfügt und 40 Prozent des Uranbedarfs Frankreichs liefert. Die Wut auf die einstige Kolonialmacht ist groß, die Unabhängigkeit im Jahre 1960 fand nur auf dem Papier statt. Stattdessen richtet sich der Blick Afrikas immer mehr nach China, das die Afrikaner umgarnt – nicht immer zu ihrem Besten.

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Verleihung des Bundesverdienstkreuzes durch Bundespräsident Joachim Gauck, 2016

Sie werden dennoch nicht müde, Brücken zu schlagen?

Ganz sicher nicht. Europäer und Afrikaner haben sich so viel zu erzählen, sie können einander bereichern. Doch dazu braucht es Begegnungen auf Augenhöhe. An Europas Schulen sollte Afrika auf den Stundenplan gesetzt werden, damit die jungen Menschen erfahren, wie vielfältig dieser Kontinent ist. Und auch die Afrikaner sollten in die Lage versetzt werden, mehr über ihre jahrtausendealte Geschichte zu erfahren, die weiß Gott nicht mit der Kolonialzeit begann. Man kann es sich in der Opferrolle auch bequem machen. Wir müssen das alte Denkmuster Kolonisatoren und Kolonisierte hinter uns lassen.

 

Am 31. Oktober dieses Jahres steht Ihr 75. Geburtstag an. Wie werden Sie ihn verbringen?

Ich muss gestehen, ich feiere lieber die Geburtstage anderer als meinen eigenen. Vielleicht werde ich – wie ich es schon mehrmals zu diesem Anlass getan habe – ein paar stille Tage im Kloster verbringen.

 

Wir sagen herzlichen Dank und wünschen alles Gute!

Das Gespräch führte Rainer Wieland

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