Von den Eingeweiden der Macht
Drei literarische Formen hat Kapuściński hier zu einem Text ohne vorbild verschmolzen: den roman, die politische Reportage und die Allegorie.
Der König der Könige, Haile Selassie, Negus Negesti von Äthiopien, Löwe von Juda, war ein anachronistischer Monarch. Umso schlagender sind die strukturellen Ähnlichkeiten, die sein despotisches Regiment mit den modernen Formen totaler Machtausübung zeigt. Diese verschlüsselte Analogie wurde im kommunistischen Polen auf Anhieb verstanden und brachte dem Buch dort einen sensationellen Erfolg ein.
Der »erhabene Wohltäter« erscheint in der Erzählung aus der Perspektive seines Sturzes, und nicht er kommt darin zu Wort - die Zentralfigur bleibt stumm -, sondern seine unterwürfigen Würdenträger, Spitzel und Helfershelfer werden zum Sprechen gebracht. Kapuściński sucht sie in ihren Schlupfwinkeln auf: den Lakai der dritten Tür, den Zeremonienmeister, den Sekretär des Ministers der Feder, den kaiserlichen Polsterträger... Unfreiwillig, schon durch ihre Sprache, geben diese Kreaturen das Geheimnis der absoluten Herrschaft preis: ihren Realitätsverlust. Und so nimmt das blutige Drama absurde, bis zum Operettenhaften reichende Züge an.
Fünf Jahre nach dem Ende der DDR ist es höchste Zeit, dieses Buch wieder zu lesen; zum Verständnis einer gebrochenen Gesellschaft trägt es mehr bei als die endlose deutsche Talkshow über Teilung und Identität.
Ein Dossier erläutert den historischen Hintergrund der äthiopischen Revolution und gibt Auskunft über die ungewöhnliche Rezeptionsgeschichte des Buches.